

Wenn man sich mit dem Digital Operational Resilience Act – kurz DORA – beschäftigt, stellt sich schnell die Frage, wen diese EU‐Verordnung eigentlich betrifft. Auf den ersten Blick scheint die Antwort einfach: „Die Finanzbranche.“ Doch wer genauer hinschaut, erkennt, dass DORA nicht nur Banken und Versicherungen ins Visier nimmt, sondern einen weitaus größeren Kreis von Unternehmen – und dass manche Akteure überrascht sein könnten, wie direkt sie unter die neuen Vorgaben fallen. Die EU hat den Anwendungsbereich bewusst breit gefasst, um nicht nur die großen, offensichtlichen Player zu erfassen, sondern das gesamte digitale Ökosystem, das den europäischen Finanzmarkt stützt. Die Logik dahinter ist simpel und schlüssig: Digitale Resilienz funktioniert nur dann, wenn nicht nur die sichtbarsten Akteure abgesichert sind, sondern auch alle kritischen Verbindungen dazwischen.
DORA ist konzipiert als Querschnittsregelwerk über den Finanzsektor hinweg. Statt einzelne Institutionstypen isoliert zu betrachten, verknüpft die Verordnung die betriebliche Widerstandsfähigkeit von Finanzunternehmen mit der ihrer IKT‐Lieferkette (Informations- und Kommunikationstechnologie). Das bedeutet: Ein Institut, das seine Kernprozesse verlässlich betreibt, ist nur dann wirklich resilient, wenn auch die technischen Dienstleister, auf die es sich stützt, robust, transparent und gut gesteuert sind. Genau deshalb erfasst DORA sowohl die „klassischen“ Finanzunternehmen als auch – direkt oder indirekt – die Drittparteien, die deren digitale Grundversorgung sicherstellen, etwa Cloud-, Rechenzentrums-, Software-, Sicherheits- oder Kommunikationsanbieter.
Zur unstrittigen Kernzielgruppe zählen die großen Säulen der Finanzwirtschaft. Das sind insbesondere:
Damit adressiert DORA die Knotenpunkte des europäischen Finanzmarktes: Orte, an denen Abwicklung, Verwahrung, Handel und Zahlungsverkehr zusammenlaufen – also genau dort, wo Ausfälle oder Angriffe schnell systemische Auswirkungen entfalten.
Die Reichweite geht bewusst darüber hinaus. DORA umfasst auch vielfältige Finanzmarktakteure, die in der Öffentlichkeit weniger sichtbar sind, aber für das Funktionieren des Systems essenziell. Dazu gehören unter anderem:
Die Verordnung verzahnt so das gesamte Spektrum von Anlage, Handel, Abwicklung, Verwahrung, Berichtswesen und Zahlungsverkehr – ein Netz, das nur so stark ist wie seine schwächste (digitale) Verbindung.
Besonders bemerkenswert ist die Aufnahme von Krypto-Dienstleistern in den DORA-Kosmos – also etwa Handelsplätze für Krypto-Assets, Verwahrer (Wallet-Anbieter/Custodians) und weitere Erbringer von Diensten rund um digitale Vermögenswerte, soweit sie unter die einschlägigen EU-Regime fallen. Das Signal ist unmissverständlich: Die EU betrachtet die operative Resilienz auch in jungen, dynamischen Segmenten nicht als freiwillige Zugabe, sondern als Voraussetzung für Marktreife. Wer Krypto-Assets für EU-Kunden anbietet, wird künftig die gleiche Sprache der Resilienz sprechen müssen wie klassische Institute – in Prozessen, Tests, Meldungen, Verträgen und im Umgang mit Drittanbietern.
Zahlungsdienste und E-Geld-Emission sind die „Blutbahnen“ der Realwirtschaft. Unterbrechungen treffen Verbraucher und Firmen direkt – an der Kasse, im Online-Shop, in der Lohn- und Gehaltszahlung. Deshalb unterliegen auch Zahlungsinstitute und E-Geld-Institute den DORA-Pflichten. Die proportionalen Anforderungen können je nach Größe und Risikoprofil variieren, die Grundidee aber bleibt: belastbare IKT-Risikosteuerung, geübte Incident-Prozesse, getestete Wiederanlauf-Szenarien, wirksame Kontrolle der Dienstleister.
Auch Versicherer und Rückversicherer sind vollumfänglich adressiert – Branchen mit hoher Datenintensität (Underwriting, Schaden, Aktuariat) und vielfältigen Auslagerungen (z. B. Bestandsführungssysteme, Schadenplattformen, Cloud-Analytics). Je nach nationaler Ausgestaltung können auch Pensions-/Vorsorgeeinrichtungen erfasst sein. Entscheidend ist stets der Bezug zu den sektorspezifischen EU-Rechtsakten, auf die DORA verweist: Deren Definitionen entscheiden darüber, ob ein Unternehmen als Finanzunternehmen im Sinne von DORA gilt.
Für Handelsplätze, CCPs und CSDs gilt: Deren IKT-Stabilität ist gleichbedeutend mit Marktstabilität. DORA fordert hier entsprechend reife Testlandschaften (inklusive adversarischer Tests), eng getaktete Meldeprozesse, belastbare Business-Continuity- und Disaster-Recovery-Fähigkeiten sowie eine lückenlose Steuerung von IKT-Drittparteien. Der Maßstab ist hoch, die Begründung eindeutig: Ein Ausfall kann binnen Minuten marktweit spürbar werden.
Fondsgesellschaften, Vermögensverwalter und Datenbereitsteller stehen oft weniger im Rampenlicht, sind aber für Transparenz, Abrechnung und Governance unverzichtbar. DORA adressiert diese Rolle, indem es Anforderungen an IKT-Risikomanagement, Vorfallsteuerung, Testen, Drittparteienkontrolle und Informationsaustausch auf sie anwendet. Wer z. B. Transaktionsdaten aggregiert oder veröffentlicht, muss sicherstellen, dass diese Dienste auch unter Störungen verlässlich arbeiten – sonst bröckelt Marktintegrität.
Ein Alleinstellungsmerkmal von DORA ist der explizite Fokus auf IKT-Drittparteien. Zwei Ebenen sind dabei zu unterscheiden:
Kurz: IKT-Anbieter müssen sich darauf einstellen, dass DORA-Anforderungen zum De-facto-Standard in ihren Kundenbeziehungen werden – vom technischen Nachweis bis zur auditfesten Prozess- und Vertragsgestaltung.
DORA gilt unmittelbar in der EU. Drittlandsanbieter, die Dienstleistungen für EU-Finanzunternehmen erbringen, sind dennoch betroffen – spätestens durch die Vertragsanforderungen ihrer EU-Kunden. Wenn sie als kritisch eingestuft werden, können sogar aufsichtliche Pflichten direkt an sie adressiert werden. Das schafft einen extraterritorialen Wirkungsbereich: Wer den EU-Finanzmarkt bedienen will, muss EU-Resilienzkriterien erfüllen – unabhängig vom eigenen Sitz.
DORA verankert das Prinzip der Proportionalität. Umfang und Tiefe der Maßnahmen richten sich nach Größe, Komplexität, Risikoprofil und Bedeutung für das Finanzsystem. Kleine und mittlere Unternehmen werden also nicht über denselben Kamm geschoren wie Großinstitute. Aber: Herausfallen ist in der Praxis selten. Ein kleines Fintech mit Zahlungsdienstlizenz muss genauso ein tragfähiges IKT-Risikomanagement etablieren, Vorfälle klassifizieren und melden, die Drittparteiensteuerung dokumentieren und Resilienztests betreiben – nur eben in angemessenem Zuschnitt.
Auch Unternehmen, die nicht als Finanzunternehmen gelten, können faktisch DORA-Pflichten spüren, wenn sie für regulierte Kunden arbeiten. Beispiele:
Hier werden DORA-Anforderungen über Verträge, Kontrollrechte, Meldewege, Nachweise und Testteilnahmen zur Realität. Wer sich frühzeitig darauf einstellt, wird als „DORA-ready“ bevorzugter Partner – wer zögert, riskiert Ausschlüsse aus sensiblen Projekten.
In der Umsetzung tauchen häufig Abgrenzungsfragen auf, z. B.:
Wen DORA erfasst, der muss konkret liefern: ein IKT-Risikomanagement, das lebt; Incident-Prozesse mit klaren Fristen und Rollen; Resilienztests vom Schwachstellen-Scan bis zum adversarischen Test; Drittparteiensteuerung mit harten Mindestklauseln, Audit- und Exit-Rechten; und die Bereitschaft, Informationen zu Bedrohungen strukturiert auszutauschen. Diese Pflichten sind nicht „nice to have“, sondern aufsichtsrechtlich durchsetzbar – mit Prüfungen, Anordnungen und spürbaren Sanktionen. Genau dadurch wird die Frage „Bin ich betroffen?“ mehr als akademisch: Sie entscheidet darüber, ob ein Unternehmen seine Geschäftsbeziehungen im regulierten Umfeld halten und ausbauen kann.
Je öfter Sie „ja“ sagen, desto wahrscheinlicher ist eine direkte oder indirekte Betroffenheit – und desto dringlicher ist ein geordneter DORA-Fahrplan.
Damit wird DORA nicht zur Bedrohung, sondern zur Chance: Wer früh „DORA-ready“ ist, wird zum verlässlichen Partner – für Institute, für Aufsichten und für Kunden.
Unterm Strich lässt sich sagen: Die Reichweite von DORA ist bewusst breit angelegt, um systemische Risiken einzudämmen. Betroffen sind nicht nur die großen Banken oder Versicherungen, die in der öffentlichen Wahrnehmung den Finanzsektor prägen, sondern auch eine Vielzahl kleinerer Marktteilnehmer und technologischer Dienstleister. Wer heute noch glaubt, nicht in den Anwendungsbereich zu fallen, sollte die in DORA referenzierten Kategorien genau prüfen – und ebenso die eigenen Abhängigkeiten. Denn spätestens wenn ein regulierter Kunde Anforderungen an seine Lieferanten stellt, wird DORA für viele Unternehmen Realität – ob sie wollen oder nicht.
Für Unternehmen, die direkt unter DORA fallen, bedeutet das eine klare Pflicht zur Umsetzung der Vorgaben. Für indirekt Betroffene ist es eine strategische Weichenstellung: Proaktiv vorbereiten und als „DORA-tauglicher“ Anbieter punkten – oder mittelfristig Aufträge verlieren, weil die Compliance-Schwelle nicht erreicht wird. Die Frage ist nicht, ob man sich mit DORA auseinandersetzen muss, sondern wie schnell man damit beginnt – und wie konsequent man die eigene Rolle im finanziellen Digital-Ökosystem denkt. Genau darin liegt die eigentliche Stärke von DORA: Es macht sichtbar, dass digitale Resilienz keine Inselbegabung ist, sondern ein Gemeinschaftsprojekt entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
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