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Hacker gab's schon immer – Wie alles begann

Hacker gab's schon immer – Wie alles begann Hacker gab's schon immer – Wie alles begann

Wenn wir heute das Wort „Hacker“ hören, schießen den meisten sofort stereotype Bilder in den Kopf: ein dunkler Raum, das fahle Licht eines Monitors, grüne Zeichenketten, die über den Bildschirm laufen, und irgendwo eine Person mit Kapuzenpulli, die blitzschnell tippt. Dieses Bild ist das Produkt von Filmen, Schlagzeilen und Popkultur – und es hat mit der Realität nur am Rande zu tun. Die Wahrheit ist: Hacker gibt es, seit es komplexe Systeme gibt. Lange bevor es Computer und Internet gab, versuchten Menschen, diese Systeme zu verstehen, zu hinterfragen, zu manipulieren oder zu verbessern. Die Geschichte des Hackens beginnt nicht mit Silicon Valley, sondern reicht zurück in eine Zeit, in der Nachrichten über optische Signale übertragen wurden und Telefonnetze noch von mechanischen Wählscheiben beherrscht wurden.

Frühe Systeme: Telegraf, Funk und der Informationsvorsprung

Der erste bekannte „Hack“ fand im Jahr 1834 statt und hatte mit Elektronik noch nichts zu tun. In Frankreich betrieb die Regierung ein hochmodernes optisches Telegrafensystem, bei dem Signale über große Entfernungen mithilfe von mechanischen Armen und Sichtlinien weitergegeben wurden. Zwei findige Geschäftsmänner, François und Joseph Blanc, erkannten, dass dieses Netz ihnen einen entscheidenden Vorteil an der Börse verschaffen konnte. Sie bestachen einen Telegrafenbeamten, der in den offiziellen Übertragungen winzige, kaum wahrnehmbare Veränderungen vornahm – Änderungen, die für Außenstehende bedeutungslos wirkten, für die beiden jedoch verschlüsselte Botschaften darstellten. So erhielten sie Kursinformationen schneller als alle anderen und konnten diese für gewinnbringende Geschäfte nutzen. Es war der erste dokumentierte Fall, bei dem ein bestehendes Kommunikationssystem manipuliert wurde, um einen Informationsvorsprung zu erlangen – der Urtypus des Hackens. Das 19. und frühe 20. Jahrhundert kannte viele solcher Manipulationen, auch wenn niemand sie damals als „Hacks“ bezeichnete. In den USA etwa nutzten Kriminelle schon in den 1860er-Jahren Telegrafenleitungen, um Pferderenn-Ergebnisse zu verzögern oder zu verändern und damit Wetten zu manipulieren; in den 1920er-Jahren traten Funkpiraten auf den Plan, die Radiowellen kaperten, um eigene Botschaften auszustrahlen oder offizielle Übertragungen zu stören. In allen Fällen ging es darum, die Funktionsweise eines Systems zu verstehen, seine Grenzen auszutesten und es dann kreativ – oder kriminell – zu nutzen.

Phone Phreaking: Der 2600-Hertz-Moment

In den 1960er- und 70er-Jahren erlebte das Hacken eine neue Blütezeit – diesmal im Reich der Telefone. Das sogenannte Phone Phreaking war eine Kunstform, bei der technisch Versierte die Signaltöne des Telefonnetzes imitierten, um kostenfreie oder unautorisierte Anrufe zu tätigen. Besonders bekannt wurde John Draper, besser bekannt als „Captain Crunch“. Er entdeckte, dass eine kleine Plastikpfeife aus einer Cornflakes-Packung exakt den 2600-Hertz-Ton erzeugte, der im AT&T-Telefonnetz eine Leitung freischaltete. Mit dieser Erkenntnis und selbstgebauten Blue Boxes konnten Phreaker kostenlos Ferngespräche führen, internationale Leitungen öffnen oder interne Netzdienste nutzen. Diese Szene war ein Sammelbecken für Technikbegeisterte, die nicht nur aus Eigennutz handelten, sondern auch aus purer Neugier, um zu verstehen, wie das System funktionierte.

Universitäten und Hackerethik: Das MIT und der Homebrew-Geist

Parallel dazu begann die Geschichte des Computerhackings – zunächst in Universitäten, Forschungseinrichtungen und großen Unternehmen, die sich die damals teuren und sperrigen Mainframes leisten konnten. Der Zugang zu diesen Maschinen war streng geregelt, und wer es schaffte, unbefugt Zeit auf ihnen zu nutzen, bewies damit technisches Können und Durchsetzungsvermögen. In dieser Zeit entstand auch eine subkulturelle Hackerethik, geprägt durch Orte wie das MIT Artificial Intelligence Lab. Ihre Grundprinzipien – freier Zugang zu Computern, Informationsfreiheit und Skepsis gegenüber Autoritäten – prägten eine Generation von Tüftlern. Eine zentrale Rolle spielte der Homebrew Computer Club im Silicon Valley. Hier trafen sich in den 1970er-Jahren Enthusiasten, um Schaltpläne auszutauschen, Softwareideen zu diskutieren und die Möglichkeiten der neuen Heimcomputer auszuloten. Steve Wozniak, später Mitgründer von Apple, gehörte zu den Mitgliedern und baute vor seinen ersten Computern Blue Boxes zum Phreaken. Die Übergänge zwischen spielerischer Kreativität, technischer Forschung und dem bewussten Umgehen von Regeln waren fließend.

Heimcomputer, BBS und die ersten Würmer

Mit der zunehmenden Verbreitung von Heimcomputern Ende der 1970er- und Anfang der 1980er-Jahre verlagerte sich das Hacken auch in private Wohnzimmer. Jugendliche versuchten, den Kopierschutz von Computerspielen zu umgehen, sich in frühe Online-Dienste wie CompuServe oder Bulletin Board Systems einzuwählen oder selbst kleine Programme zu schreiben, die Sicherheitslücken ausnutzten. Die Motivation war selten rein kriminell – oft ging es um das Austesten von Grenzen, den Austausch in der Szene oder schlicht darum, zu zeigen, dass man es konnte. Bald traten die ersten Computerviren und Würmer auf: Elk Cloner zeigte auf dem Apple II, wie sich Code über Disketten verbreiten ließ; Brain legte den Grundstein für Bootsektor-Manipulationen; der Morris-Wurm von 1988 machte die Verletzlichkeit vernetzter Systeme für alle sichtbar.

Ikonen, Clubs und Gesetzgebung: Die 1980er und 1990er

Mit wachsender Vernetzung wuchs auch das Bewusstsein für die Risiken. Die Medien begannen, über Hacker zu berichten, oft reißerisch. Der Fall der „414s“, einer Gruppe Jugendlicher aus Milwaukee, die 1983 in Computersysteme von Behörden und Unternehmen eindrang, löste in den USA eine Welle der Besorgnis aus und führte zu den ersten Gesetzesinitiativen gegen Computerkriminalität. In Europa prägte der Chaos Computer Club die Debatte, etwa mit dem BTX-Hack 1984, der Sicherheitslücken öffentlichkeitswirksam demonstrierte und ethische Fragen aufwarf. Namen wie Kevin Mitnick, Kevin Poulsen oder Gruppen wie L0pht markierten Meilensteine einer Kultur, in der Technik, Psychologie, Medien und Recht untrennbar verwoben sind. Die öffentliche Wahrnehmung verschob sich: aus neugierigen Tüftlern wurden in der Popkultur gefährliche Eindringlinge – gleichzeitig professionalisierten sich Forschung und Abwehr.

Das Internetzeitalter: Botnetze, Hacktivismus und Stuxnet

In den 2000er-Jahren explodierte das Internet – und mit ihm veränderte sich das Hacken erneut. Script Kiddies nutzten vorgefertigte Exploits, Botnetze wie Storm oder Conficker vereinten hunderttausende infizierte Rechner, um Spam zu versenden, DDoS-Attacken zu fahren oder Klickbetrug zu betreiben, während Zero-Day-Märkte und modulare Malware eine regelrechte Industrie entstehen ließen. Hacktivistische Gruppen wie Anonymous und später LulzSec verknüpften technische Angriffe mit politischer Inszenierung. 2010 markierte Stuxnet einen Wendepunkt: industrielle Steuerungssysteme wurden zur Zielscheibe, digitale und physische Welt verschränkten sich sichtbar – mit Folgen für Energie, Produktion, Gesundheit und Verkehr.

2010er bis heute: Ransomware, IoT, Cloud und Supply Chains

Die 2010er brachten eine Professionalisierung beider Seiten. Ransomware wandelte sich zur hochprofitablen Erpressungsökonomie mit Partnerprogrammen, Double- und Triple-Extortion und eigener Verhandlungstaktik. Mirai zeigte 2016, wie trivial unsichere IoT-Geräte massenhaft missbraucht werden können. WannaCry und NotPetya verdeutlichten 2017, dass staatliche Toolsets im Wild globale Schäden auslösen können. Mit Cloud, Containern und DevOps verschob sich die Angriffsoberfläche: Fehlkonfigurierte Buckets, schwache IAM-Modelle, ungeschützte Tokens, Supply-Chain-Angriffe auf Build- und Update-Prozesse wurden alltäglich. 2020 rückte ein spektakulärer Lieferkettenangriff die Verwundbarkeit von Software-Ökosystemen ins Rampenlicht, 2021 zeigte eine Logikschwäche in einer allgegenwärtigen Java-Bibliothek, wie tief Abhängigkeiten reichen, 2023 machten Angriffe auf File-Transfer-Lösungen die Attraktivität peripherer Werkzeuge deutlich, 2024 offenbarte ein versuchter Backdoor-Einbau in eine weitverbreitete Kompressionsbibliothek zugleich die Risiken und die Wachsamkeit der Community.

Social Engineering: Die menschliche Konstante

Dabei blieb eines konstant: die besten Angriffe kombinieren Technik und Psychologie. Social Engineering ist kein Relikt; es ist der rote Faden moderner Einbrüche. Phishing-Mails, die kaum noch von legitimen Nachrichten zu unterscheiden sind, MFA-Push-Bombing, das Nutzer mürbe macht, SIM-Swapping zur Identitätsübernahme, tiefgefälschte Stimmen und Videos, die Autorität vortäuschen, oder QR-Codes, die auf präparierte Seiten führen – stets nutzt man Tempo, Vertrauen und Routine. Wer ernsthaft über Hacking spricht, betrachtet Systeme als sozio-technische Gesamtheit aus Prozessen, Tools, Defaults, Gewohnheiten und Anreizen.

Defensive Modelle: Vom Kill Chain zum Bug Bounty

Die defensive Seite reagierte mit Systematik. Kill-Chain-Modelle und das MITRE-ATT&CK-Framework ordnen TTPs. Bedrohungsmodellierungsmethoden wie STRIDE oder PASTA schaffen gemeinsame Sprache, Purple Teaming verbindet Angriffs- und Abwehrwelt. Koordinierte Vulnerability Disclosure, Bug-Bounty-Programme, Safe-Harbor-Formulierungen und CVE-Prozesse etablierten Regeln, unter denen Hacken zum Guten erwünscht ist. Das ist ein Paradigmenwechsel: Unternehmen bezahlen Forscher, danken öffentlich für Funde und schließen Lücken schneller – ein Balanceakt zwischen Offenheit, Haftung und Risiko.

Regulierung, Resilienz und Lieferketten

Parallel schärften Staaten, Branchenverbände und Aufsichten die Regulierungssicht. Mindeststandards, Meldepflichten, Testanforderungen, Drittparteienprüfungen, Software-Stücklisten und Vertrauensnachweise sind Antworten auf gewachsene Komplexität. Besonders in der Finanzindustrie wird Hacking zum Systemthema: Vernetzung, gemeinsame Technologieanbieter, internationaler Datenaustausch und Zeitkritikalität machen aus Einzelangriffen potenzielle Kaskaden. Moderne Aufsichten fordern deshalb Resilienz, harmonisierte Meldewege, threat-led Tests und eine Verantwortung, die die gesamte Lieferkette umfasst.

IT/OT-Konvergenz und KI: Neue Spielfelder

Hacken ist längst nicht nur eine Angelegenheit von Computern, Netzen und Apps. Fahrzeuge, Medizingeräte, Gebäudeautomation, Smart-Home-Komponenten, Produktionsanlagen und Drohnen sind programmierbar, vernetzt und updatebar. Automotive-Hacks führten zu Hardware- und Software-Redesigns, Analysen von Insulinpumpen und Herzschrittmachern zu neuen Normen für Updates, Authentisierung und Notfallmodi, in Fabriken werden Zonen, Gateways und „Luftspalte“ neu gedacht. Gleichzeitig verändert KI beide Seiten. Generative Modelle erzeugen perfekte Phishing-Köder, beschleunigen Exploit-Entwicklung und finden Muster; defensiv helfen sie bei Log-Analysen, Code-Prüfung und Playbook-Simulation. Neue Angriffsflächen entstehen rund um Prompt-Injection, Datenvergiftung, Model-Stealing, Parameterextraktion – und neue Abwehrmechanismen mit Inhaltsfiltern, Kontextabschirmung und Policy-Engines.

Rollenbilder und Ethik: Mehr als Black und White Hat

Hacker sind nicht per se die Bösen. Neben Black Hats und White Hats existieren Grey Hats, in deren Arbeit Forschung, Aktivismus und juristische Grenzen kollidieren. Ob Wissen konstruktiv oder destruktiv eingesetzt wird, entscheiden Kontext, Absicht, Ethik, Rechtsrahmen und Anreize. Je klarer Offenlegungswege, Safe-Harbor-Formulierungen, Vergütungen und Reaktionszeiten geregelt sind, desto eher fließt Kompetenz in Richtung Resilienz statt Schaden.

Warum Hacking bleibt: Mündigkeit statt Dämonisierung

Aus all dem folgt: Hacking ist eine menschliche Konstante. Menschen sind neugierig, wollen verstehen, auseinandernehmen, verbessern. Systeme haben Annahmen und Grenzen; Hacker finden die Ränder, an denen diese Annahmen brechen. Oft entsteht daraus Fortschritt: robustere Architekturen, sauberere Protokolle, sichere Updates, transparentere Lieferketten, größere Nutzerkompetenz. Die richtige Reaktion ist nicht Panik, sondern Mündigkeit: transparente Regeln, die Forschung ermöglichen, robuste Technik, die Fehler erwartet, eine Kultur, die Melden belohnt, Ausbildung, die neugieriges, aber verantwortungsvolles Tüfteln schätzt, und eine gemeinsame Sprache zwischen Entwicklung, Betrieb, Forschung, Recht und Aufsicht.

Ausblick: Die Fragen von morgen

Wer die Anfänge kennt – optische Telegrafenlinien, Pfeifen, die Netze überlisteten, Diskettenwürmer, die Rechner lahmlegten – versteht, warum Hacking nicht verschwindet, sondern sich transformiert. Die Werkzeuge ändern sich, das Motiv bleibt: Systeme verstehen, Grenzen austesten, Macht über Information und Funktion erlangen. Entscheidend sind die offenen Fragen: Wie sichern wir KI-Modelle gegen subtile Eingaben? Wie halten wir Lieferketten sauber, wenn Ketten tausend Glieder haben? Wie entwerfen wir Systeme, die im Notfall in einen sicheren Minimalmodus wechseln? Wie belohnen wir diejenigen, die Schwächen offenlegen, statt sie auszunutzen? Und wie erklären wir einer breiten Öffentlichkeit, dass Hacken in seiner besten Form nichts anderes ist als der kritische Blick, der hilft, bessere Systeme zu bauen?

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