Von Markus Groß auf Samstag, 12. April 2025
Kategorie: IT

DORA als Wettbewerbsvorteil – Warum Resilienz mehr ist als Pflicht

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iele Unternehmen betrachten regulatorische Vorgaben zunächst als zusätzliche Belastung. Neue Gesetze bringen neue Pflichten, mehr Dokumentation, strengere Kontrollen – und das alles kostet Zeit, Geld und Nerven. Auch beim Digital Operational Resilience Act (DORA) war die erste Reaktion in manchen Vorständen und IT-Abteilungen verhalten. „Schon wieder eine EU-Verordnung, die uns Arbeit macht“, lautete der Tenor. Doch wer DORA nur als Pflichtübung versteht, übersieht das Potenzial, das in dieser Verordnung steckt. Richtig umgesetzt, kann DORA nicht nur helfen, Risiken zu reduzieren und Compliance sicherzustellen, sondern auch zu einem echten Wettbewerbsvorteil werden. Resilienz ist in einer digitalisierten Wirtschaft nicht nur eine Frage der Sicherheit – sie ist ein entscheidender Faktor für Vertrauen, Reputation und langfristigen Erfolg.

Von Mindeststandards zu Marktvorteilen: Die fünf Säulen als Wachstumshebel

Das beginnt mit einem Blick auf die Grundidee hinter DORA. Die Verordnung will nicht einfach nur Mindeststandards für die IT-Sicherheit festlegen, sondern die gesamte digitale Widerstandsfähigkeit von Finanzunternehmen und ihren Dienstleistern stärken. Das umfasst IKT-Risikomanagement, Incident Reporting, Resilienztests, Management von Drittparteien und den Informationsaustausch im Sektor. Wer diese fünf Säulen konsequent umsetzt, ist nicht nur gesetzeskonform, sondern auch deutlich robuster gegenüber Cyberangriffen, Systemausfällen oder Lieferkettenstörungen. Diese Robustheit ist kein Selbstzweck – sie sorgt dafür, dass das Unternehmen in Krisensituationen handlungsfähig bleibt, Kundenbeziehungen stabil hält und Schäden minimiert. Genau hier entstehen handfeste Vorteile: niedrigere Ausfallzeiten, schnellere Wiederanläufe, bessere Konditionen in Ausschreibungen, höhere Abschlussquoten im Vertrieb und ein spürbar geringeres Reputationsrisiko.

Vertrauen als Währung: Resilienz verkauft mit

In einer Branche, in der Vertrauen ein zentrales Gut ist, kann genau das den Unterschied machen. Kunden – ob Privatpersonen, Geschäftspartner oder institutionelle Anleger – achten immer stärker darauf, ob ein Anbieter nicht nur gute Produkte hat, sondern auch in der Lage ist, diese verlässlich bereitzustellen. Ein Unternehmen, das im Ernstfall schnell reagiert, transparent kommuniziert und den Betrieb stabil hält, stärkt sein Markenimage. DORA-konforme Resilienzprozesse können so zu einem Verkaufsargument werden, das über klassische Preis- und Leistungsfaktoren hinausgeht. Vertriebsteams berichten seit Jahren, dass Sicherheits- und Resilienz-Fragebögen in RFPs (Requests for Proposal) oft entscheidend sind: Wer dort solide, konsistent und mit klaren Nachweisen antwortet – etwa mit getesteten RTO/RPO-Werten, dokumentierten Incident-Prozessen und geübten Exit-Plänen für Drittanbieter –, gewinnt an Glaubwürdigkeit und verkürzt Verkaufszyklen. Resilienz wird damit nicht nur zum Risikoschild, sondern zur Wachstumsstory.

Europäische Skalierung: Ein Rahmen, viele Märkte

Dazu kommt, dass DORA eine einheitliche Grundlage für Resilienz in ganz Europa schafft. Das bedeutet: Wer die Anforderungen in einem EU-Land erfüllt, kann diese Nachweise in der Regel auch in anderen Mitgliedsstaaten nutzen. Für Unternehmen, die grenzüberschreitend arbeiten, reduziert das den regulatorischen Flickenteppich und erleichtert den Marktzugang. Das schafft Skaleneffekte – nicht nur in der Compliance, sondern auch in der operativen Umsetzung von Sicherheits- und Resilienzmaßnahmen. Einheitliche Prozesse, Dokumentationen und Testformate bedeuten weniger Aufwand bei Expansionen oder neuen Partnerschaften. Für schnell wachsende FinTechs und für etablierte Häuser mit europäischem Footprint ist das ein messbarer Kostenvorteil: eine zentrale Kontrollarchitektur, ein Testkatalog, ein Meldeprozess – statt vieler paralleler Varianten.

Besser steuern, klüger investieren: DORA macht Risiken sichtbar

Ein weiterer strategischer Vorteil liegt in der verbesserten Steuerungsfähigkeit. DORA zwingt Unternehmen, ihre IKT-Landschaft, Risiken und Abhängigkeiten detailliert zu erfassen und regelmäßig zu bewerten. Diese Transparenz ist nicht nur für Auditoren interessant – sie ist auch für das Management ein wertvolles Werkzeug. Entscheidungen über Investitionen, Outsourcing oder technische Innovationen können auf einer fundierten Risikobasis getroffen werden. Wer weiß, wo die größten Schwachstellen liegen, investiert gezielter und erhöht den Ertrag pro investiertem Euro. In der Praxis bedeutet das: Priorisierung nach Business-Impact, nicht nach Lautstärke; Budgets wandern von „Feuerlöschen“ zu „Verhindern und Beschleunigen“. DORA etabliert damit eine Sprache, in der CIO, CISO, COO und CFO gleiche Bilder sehen – Heatmaps, Szenarioverluste, RTO/RPO, KRIs und KPIs – und Entscheidungen messbar werden.

Drittparteien im Griff: Professionelles Sourcing als Qualitätsmerkmal

Auch in der Zusammenarbeit mit Drittparteien kann DORA strategische Vorteile bringen. Die strengen Anforderungen an Vertragsgestaltung, Monitoring und Exit-Strategien sorgen dafür, dass Unternehmen nicht in einseitige Abhängigkeiten geraten. Anbieter, die nachweisen können, dass sie ihre Lieferanten- und Partnerlandschaft DORA-konform steuern, wirken auf Investoren, Kunden und Aufsichtsbehörden professioneller und zuverlässiger. In Ausschreibungen oder bei großen Partnerschaften kann das den Ausschlag geben – insbesondere, wenn Wettbewerber hier noch Nachholbedarf haben. Darüber hinaus verbessern strukturierte Scorecards für kritische Dienstleister die Verhandlungsposition: Wer Verfügbarkeit, Incident-Reaktionszeit, Patch-Zyklen, Audit- und DR-Nachweise quartalsweise bewertet, erzielt bessere SLAs, klare Eskalationsrechte – und im Zweifel einen geübten Exit ohne Betriebsbruch. Auslagerung wird damit vom Risiko zum beherrschten Produktionsfaktor.

Kultur und Menschen: Resilienz als Identität

Nicht zu unterschätzen ist die Signalwirkung gegenüber der Belegschaft. Resilienz ist nicht nur eine technische, sondern auch eine kulturelle Frage. Unternehmen, die DORA proaktiv und mit einer klaren Strategie umsetzen, zeigen ihren Mitarbeiter:innen, dass Sicherheit und Stabilität nicht nur Lippenbekenntnisse sind. Das schafft Vertrauen, fördert die Identifikation und steigert die Motivation, weil klar ist: Das Unternehmen ist auf Krisen vorbereitet und nimmt die Verantwortung gegenüber Kundschaft und Mitarbeitenden ernst. Praktisch sichtbar wird das in regelmäßigen Übungen, klaren Rollen (Incident Commander, Regulatory Liaison, Comms Lead), gelebter Fehlerlern-Kultur („blameless postmortems“) und greifbaren Erfolgskriterien (z. B. MTTD/MTTR, RTO-Erfüllung). Wer so arbeitet, gewinnt und hält Talente – besonders in Security, SRE, Compliance und Engineering.

Innovation auf belastbarem Fundament: „Schnell“ und „sicher“ schließen sich nicht aus

Langfristig kann DORA so auch die Innovationsfähigkeit stärken. Wer seine Systeme, Prozesse und Strukturen regelmäßig testet, Schwachstellen behebt und Risiken aktiv managt, schafft eine stabile Basis, auf der sich neue Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen. Sicherheit und Resilienz werden nicht zum Bremsklotz, sondern zum Enabler. DevSecOps-Pipelines mit automatisierten Kontrollen, signierte Build-Ketten, reproduzierbare Deployments, Chaos- und Failover-Drills in produktionsnahen Umgebungen: All das beschleunigt Time-to-Market und senkt das Fehlerrisiko. DORA zwingt Teams, früh an Portabilität, Exit-Fähigkeit und Messbarkeit zu denken – Eigenschaften, die spätere Pivotierungen und Skalierungen leichter machen.

Vertriebsvorteile messbar machen: Resilienz als Feature

Resilienz verkauft: Trust Center mit kuratierten Nachweisen (Zertifikate, Testberichte, Incident-Playbooks, RTO/RPO) verkürzen Due-Diligence-Zyklen auf Kundenseite. Standardisierte Antworten auf Sicherheitsfragebögen, hinterlegt in einem GRC-System, sparen Wochen. In Verhandlungen wirken konkrete Zahlen: „unser Zahlungsservice hat 99,95 % SLO, RTO 2 h, RPO 15 min; DR-Tests halbjährlich mit 100 % Erfolgsquote; drei DORA-meldepflichtige Incidents im letzten Jahr, alle unter 3 h Erstmeldung, Lessons Learned umgesetzt“. Wer so spricht, verkauft Verlässlichkeit – und rechtfertigt Premiumpreise.

Kapitalmarkt, Versicherer, ESG: Gute Resilienz senkt Reibung

Professionelle Resilienzarbeit zahlt auch in Investor Relations und ESG ein. DORA-konforme Governance (klare Rollen, regelmäßige Management-Reviews, Kennzahlen) belegt G wie Governance. S wie Social spiegelt sich in Verfügbarkeit kritischer Dienste für Kund:innen wider. Versicherer honorieren belastbare Kontrollen und getestete Wiederanläufe oft mit besseren Bedingungen – mindestens aber mit geringeren Diskussionen im Schadenfall, weil Evidenzen vorliegen. Und intern hilft die DORA-Logik, Risikokosten realistisch anzusetzen: Wenn erwartete Verluste sinken (weniger/kleinere Vorfälle), verbessert sich der Risk-Adjusted Return von Produkten und Plattformen.

ROI greifbar machen: Von „Kostenstelle“ zu „Werttreiber“

Natürlich kostet DORA-Umsetzung Geld. Doch der Ertrag ist konkret quantifizierbar:

Praktische Hebel: So wird DORA zum Vorteil im Alltag

1) DORA-Storyline für den Vertrieb. Eine kurze, faktenreiche Darstellung mit SLOs, RTO/RPO, Incident- und Testmetriken, Referenzprozessen – freigegeben durch Legal/Comms.
2) Trust Center & RFP-Toolkit. Standardantworten, Nachweise, Whitepaper, Prozessgrafiken; Self-Service für Kund:innen unter NDA.
3) Lieferanten-Scorecards. Quartalsweise Ampel mit SLA, Incidents, DR-Nachweisen, Auditstatus; Eskalations- und Incentive-Mechanismen.
4) Resilienz-Dashboards fürs Management. Risiken, Kontrollen, Tests, Incidents, Lieferkette – auf einer Seite, mit Trends und Entscheidungen.
5) Geübte Exit-Drills. Einmal pro Jahr ein echtes Mini-Migrationsszenario; Protokoll, Lücken, Verbesserungen – Gold wert in Audits und Verhandlungen.
6) Krisenkommunikations-Playbook. Kernbotschaften, Freigaben, Taktung, Kanäle; geübt mit Comms/Legal/Produkt.
7) Metrik-orientierte OKRs. „MTTR kritischer Services ≤ 120 min“, „RTO-Einhaltung in DR-Tests ≥ 95 %“, „RFP-Antwortzeit –30 %“.

Ein Jahr zur Wirkung: Roadmap vom Compliance-Projekt zur Wertmaschine

Monat 1–3: Transparenz & Grundgerüst. Inventar, Kritikalität, BIA; DORA-Mapping; erste Dashboards; Risk Appetite; Lieferantenregister.
Monat 4–6: Prozesse & Nachweise. Incident- und DR-Playbooks; Tabletop-Übungen; Restore-Generalprobe; Vertragsnachträge (Vorfallfristen, Audit-/Exit-Rechte); Trust Center v1.
Monat 7–9: Vertiefung & Skalierung. Purple-Team-Kampagne; Lieferanten-Scorecards live; automatisierte Reports (Risiko/Resilienz/Incidents); RFP-Toolkit v2.
Monat 10–12: Differenzierung & Go-to-Market. Jahres-Resilienzbericht (intern/extern geeignet), Exit-Drill dokumentiert, Vertriebs-Enablement, Lessons Learned in Roadmaps.

Informationsaustausch als Multiplikator: Von fremden Fehlern lernen

DORA fördert den strukturierten Informationsaustausch. Wer aktiv in Branchenkreisen, ISACs und mit Behörden interagiert, erkennt Muster früher, härtet Kontrollen zielgerichteter und profitiert von Kollektivintelligenz. Auch das ist ein Wettbewerbsvorteil: schnellere Updates von Use-Cases im SIEM, präzisere Threat-Modelle, bessere Prävention gegen aktuelle TTPs – und nicht zuletzt Reputation als verlässlicher Akteur im Ökosystem.

Synergien nutzen: ISO 27001, ISO 22301, NIS2, DSGVO

DORA steht nicht im luftleeren Raum. Wer ein reifes ISMS (ISO 27001), BCM (ISO 22301), DSGVO-Prozesse und – je nach Sektor – NIS2 bereits lebt, kann große Teile wiederverwenden: Risiko- und Kontrollbibliothek, Statement of Applicability, BIA/RTO/RPO, Incident-/Meldeprozesse. Ein gemeinsames Kontrollmodell reduziert Doppelarbeit, erleichtert kombinierte Audits und macht die Organisation schneller. So wird aus „mehr Regulierung“ weniger Aufwand pro Norm.

Architektur-Patterns, die punkten: Resilienz sichtbar machen

Wer Resilienz nicht nur behaupten, sondern zeigen will, investiert in:

Talent & Marke: „Wir üben – wir können Krise“

Ein Unternehmen, das regelmäßig übt und sichtbar lernt, ist attraktiv – für Ingenieur:innen, Analyst:innen, Manager:innen. „Wir können Krise“ ist ein starkes Employer-Branding-Versprechen. Es bedeutet: klare Prioritäten, wenig „Heroics“, professionelle Zusammenarbeit, moderne Toolchains. Wer DORA so lebt, rekrutiert nicht trotz Regulierung, sondern wegen seiner Professionalität.

Zwei Mini-Fallbeispiele (anonymisiert)

Versicherungsplattform (EU-weit): Nach DORA-Programm mit halbjährlichen DR-Tests und Lieferanten-Scorecards sank die durchschnittliche Störungsdauer kritischer Services um 55 %. RFP-Conversion stieg um 12 %, weil Trust Center und geübte Exit-Szenarien überzeugten.
Zahlungsdienstleister (Cross-Border): Einführung eines integrierten Incident- und Meldeprozesses, Purple-Team-Kampagne, Portabilitäts-Architektur. Ergebnis: schnellere Meldefähigkeit (Erstmeldung < 2 h), Reduktion der Versicherungs-Selbstbehalte in der Neuverhandlung, spürbar kürzere Due-Diligence-Zyklen bei Bankpartnern.

Stolpersteine – und wie man sie vermeidet

Checkliste „DORA als Vorteil“ (kompakt)

  1. Narrativ: Eine Seite „Warum Kund:innen mit uns resilienter sind“.
  2. Nachweise: Trust Center mit geprüften, aktuellen Evidenzen.
  3. Metriken: SLOs, RTO/RPO, MTTD/MTTR, Test- und Incident-Kennzahlen.
  4. Lieferanten: Scorecards, Vertragsrechte, Exit-Drill-Protokolle.
  5. Übungen: Tabletop/DR/Purple im Jahresplan, Lessons Learned mit Re-Tests.
  6. Dashboards: Risiko, Resilienz, Incidents – für Board & Vertrieb.
  7. RFP-Toolkit: Standardantworten, Architekturskizzen, Referenzen.
  8. Kultur: Blameless RCAs, klare Rollen, gelebte Mandate.

Fazit: Pflicht in Stärke verwandeln

Natürlich gilt: Der Weg dorthin ist mit Aufwand verbunden. Prozesse müssen angepasst, Dokumentationen erstellt, Tests durchgeführt und Verantwortlichkeiten geklärt werden. Doch wer diese Investition nicht als reine Compliance-Kosten sieht, sondern als strategisches Projekt, wird mittelfristig profitieren. Resilienz zahlt sich aus – nicht nur, weil sie gesetzlich gefordert ist, sondern weil sie das Unternehmen in einer unsicheren Welt stabiler, vertrauenswürdiger und wettbewerbsfähiger macht. DORA ist damit weit mehr als ein weiteres Regulierungspaket. Es ist eine Einladung, das Thema digitale Resilienz ins Zentrum der Unternehmensstrategie zu rücken. Wer diese Einladung annimmt, macht aus einer Pflicht eine Stärke – und aus einer regulatorischen Vorgabe einen klaren Wettbewerbsvorteil.

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